Isaac Asimov: Ströme im All (Roboter und Foundation Teil 9)
⭐️❌❌❌❌ (1/5)
— Klassiker mit dicker Patina

❌ (i) Handlung: Ein ‚Weltraumanalytiker‘ (Kosmologe) namens ‚Rik‘ sagt den Untergang einer Welt voraus; er wird daraufhin von einer zunächst unbekannten Person ‚psychosondiert‘, so dass er sein Gedächtnis verliert und erst im Verlauf der Handlung stückweise wiedererlangt. Das Wissen um den Untergang des Planeten ist für mehrere Personen interessant, die es für eigene Zwecke nutzen wollen, und daher versuchen sie Riks habhaft zu werden.
Vor diesem Hintergrund wären auch ein SF-Politthriller möglich, denn die Protagonisten (hier kein Gendern, es handelt sich nur um Männer) repräsentieren verschiedene mächtige oder weniger mächtige Gruppierungen. Asimov entscheidet sich aber dafür, das Ganze doch mehr oder weniger als Kriminalfall aufzuziehen (die wichtigste Frage lautet demnach, wer Rik psychosondiert hat; seine Vorhersage wird stattdessen die meiste Zeit als Spinnerei abgetan); das Whodunit-Konzept, das bei den „echten“ Detektivgeschichten des Autors (mit Elijah Baley) gut funktioniert geht hier aber nicht auf, zumal der Täter auch ein Perspektiv-Charakter ist. (Das ist kein Spoiler – alle Protagonist:innen haben ihre Perspektive.)
❌ (ii) Worldbuilding: Das Setting des Romans, also ein Planet (‚Florina‘) mit wertvoller natürlicher Ressource (‚Kyrt‘), die nur hier zu finden ist, der aber von einem anderen Planeten (‚Sark‘) ausgebeutet wird, erinnert ein bisschen an den Wüstenplanet von Frank Herbert und hätte durchaus Potential. Das restliche Worldbuilding ist eher mittelmäßig; ein typischer Fehler ist z.B., dass den ganzen Planeten ein ‚mildes‘ oder ‚raues‘ Klima zugeschrieben wird – jeder Planet hat doch eigentlich Klimazonen – oder dass es auf Florina nur eine Ansiedlung von Sarkiten geben soll.
Das Regierungssystem von Sark und der gesamte gesellschaftliche Konflikt dort und auf Florina wirkt lieblos und wenig durchdacht. Die Schilderungen von Technologie und Wissenschaft ist sehr oberflächlich (und außerdem fragt man sich, ob es denn im Vergleich zu den Roboter-Detektivgeschichten, die ein paar Tausend Jahre vorher spielen, irgend eine Art Fortschritt gegeben haben soll).
Insgesamt sollen über eine Millionen Welten von Menschen besiedelt worden sein und ein Großteil davon soll bereits im Imperium von Trantor integriert sein – das sind m.E. zwei bis drei Größenordnungen zu viel (Ähnlich ging es mir auch schon bei den 50 Spacer-Welten der früheren Romane – das sollten denke ich auch besser fünf sein.), und zwar aus mehreren Gründen. (Wie soll denn beispielsweise ein Imperium aus einer halben Millionen Planeten (!) regiert werden? Und wenn es seit 500 Jahren existiert, wie konnte Trantor 1000 Welten pro Jahr (!) erobern?)
Angesichts dieser Anzahl an Welten verwundert es, dass die Erde der einzige lebensfeindliche besiedelte Planet sein soll (weshalb angeblich die meisten Weltraumanalytiker von dort stammen – sie halten es auf ihrer Welt nicht aus…).
Ein interessantes Detail des Romans ist übrigens das später vom Autor hinzugefügte Nachwort. Wie auch in Sterne wie Staub weist er darin auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse hin, die seinem Worldbuilding zuwiderlaufen. Das ist m.E. unnötig, denn in der Science Fiction werden ständig wissenschaftliche Fakten oder technische Entwicklungen erfunden, die sich später evtl. aus falsch herausstellen werden. Ohne derartige Elemente gäbe es das ganze Genre nicht.
Eine „Entschuldigung“ stellt das Nachwort dagegen nicht dar, denn Asimov schreibt: „[…] meine Hypothesen über die Ströme im All waren (meiner Ansicht nach) so intelligent, dass sie es wahrhaftig verdient hätten, bestätigt zu werden.“ – ein faszinierendes Zeugnis unerschütterlichen Selbstbewusstseins also.
❌ (iii) Charaktere: Es ist schwer zu sagen, wer der eigentliche Hauptcharakter des Romans ist. Der Weltraumanalytiker Rik ist nach der Psychosondierung ein Schwachkopf, seine Freundin Valona ist von Haus aus ein Schwachkopf; bei Terens fragt man sich, wie er so kaltblütig am laufenden Band morden kann, und warum das scheinbar keinen interessiert. Die ‚Obersten Herren‘ – die Regierung von Sark – bieten ein trauriges Bild. Fife verhält sich wie ein Detektiv, die anderen sind entweder phlegmatisch, irrational wütend oder einfach nur passiv. Es ist schwer vorstellbar, dass diese Leute zwei Planeten unter Kontrolle haben sollen, zumal sie sich ja einerseits um jedes Detail persönlich zu kümmern scheinen, andererseits nur alle paar Jahre sich untereinander besprechen.
⭐️ (iv) Stil & Sprache: Auch wenn sich der Autor oft auf nur eine Person konzentriert und deren Sicht darstellt, handelt es sich um eine auktoriale Erzählperspektive mit entsprechenden Sprüngen, Vorgriffen usw. Sobald man sich daran gewöhnt hat, stört einen das nicht weiter.
Asimov-typisch nehmen Gespräche zwischen den Protagonist:innen breiten Raum im Roman ein, und diese Dialoge sind (mit Ausnahme der wörtlichen Rede von Steen) meist sehr gelungen. Auch die restliche Sprache ist klar und ohne Ballast, was den Roman zu einem (auch angesichts seines Alters) angenehmen Leseerlebnis macht.
❌ (v) Sonstiges: Ströme im All wurde 1951 veröffentlicht und hat – wie es mein Buchhändler sehr schön ausgedrückt hat – bereits Patina angesetzt. Tatsächlich gibt es Werke, die wesentlich besser gealtert sind. Das liegt vor allem auch im unverblümten Sexismus, der sich in einigen Asimov-Romanen, und im vorliegenden ganz besonders, findet. Die Szene, in der Terens mit Herrin Fife im Auto (‚Bodenwagen‘) sitzt und sie ungefragt küsst – weil er sie ja seit ca. 20 Sekunden kennt und sie offensichtlich recht hot ist – macht mich immer noch sprachlos, genauso wie die vielen Despektierlichkeiten gegenüber Frauen (z.B. ‚Nach Frauenart hatte sie…‘), die in unzähligen Halbsätzen geäußert werden.